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Goldman Sachs und das Genom

Von »Profit Pools« und Patientenpopulationen: Wie die internationale Hochfinanz natürliche Ressourcen und den Homo sapiens zur Anlageklasse degradiert.


Tom-Oliver Regenauer | 27.10.2021

»Man wird in der Regel keinen Freund dadurch verlieren, dass man ihm ein Darlehen abschlägt, aber sehr leicht dadurch, dass man es ihm gibt.« (Arthur Schopenhauer)


Goldman Sachs wurde 1869 von Marcus Goldman gegründet, einem bayrischen Lehrer, der 1848 in die Vereinigten Staaten ausgewandert war. Die Bank ging im Jahr 1896 an die New York Stock Exchange und steigerte ihr Kapital rasch auf 1,6 Millionen US-Dollar. Für damalige Verhältnisse enorm. Heute ist das in Lower Manhattan ansässige Bankhaus eine multinationale Investmentgruppe und zählt zu den einflussreichsten Finanzinstituten der Welt. Die Bank konnte das Geschäftsjahr 2020 mit firmenhistorischen Bestmarken beschließen: Einem Umsatz von 44,56 Milliarden US-Dollar und einer Bilanzsumme von 1,16 Milliarden US-Dollar. Goldman Sachs unterhält mittlerweile Niederlassungen in über dreißig Ländern.


Im Jahr 2019 assistierte Goldman Sachs Geschäftsabschlüssen im Wert von 713 Milliarden US-Dollar und belegte damit Platz zwei auf der Rangliste der umtriebigsten Fusionsberater in der internationalen Hochfinanz. Der Nettoumsatz des Global Players belief sich im gleichen Jahr auf über 35 Milliarden US-Dollar. Die Zahlen machen deutlich, welche Marktmacht das Unternehmen hat. Es ist »Too-big-to-fail«, wie die US-Regierung acht ihrer wichtigsten Banken einstufte. Diese müssen im Krisenfalle vom Staat »gerettet« werden, koste es den Steuerzahler, was es wolle. Der damalige Chef der Federal Reserve Bank, Ben Bernanke, erklärte diesen Umstand im Jahre 2010 folgendermaßen:


»Ein Too-big-to-fail-Unternehmen ist ein Unternehmen, dessen Größe, Komplexität, Vernetzung und kritische Funktionen so beschaffen sind, dass im Falle einer unerwarteten Liquidation des Unternehmens der Rest des Finanzsystems und der Wirtschaft schwerwiegende nachteilige Folgen haben würde.«

 

So bekam Goldman Sachs in der Finanzkrise 2008 von der US-Regierung ein Rettungspaket in Höhe von 10 Milliarden US-Dollar zugesprochen. Ungeachtet der Tatsache, dass die Investment-Jongleure mit ihren kriminellen Machenschaften maßgeblich mitverantwortlich für den vorausgegangenen Crash waren und die Bank permanent mit Vorwürfen unlauterer Geschäftspraktiken konfrontiert ist. Was im Zuge der diversen Skandale an die Öffentlichkeit kam, zeichnet das Bild einer skrupellosen, mafiösen Vereinigung. Nicht das, einer seriösen Geschäftsbank. Aber das scheint für die Branche charakteristisch. Man erinnere sich in diesem Kontext nur an die Deutsche Bank, gegen die zeitweise bis zu 1000 Gerichtsverfahren gleichzeitig liefen.


Darüber hinaus ist Goldman Sachs eine der spitzenpolitisch einflussreichsten Organisationen ihrer Zeit und näher an den Epizentren der Macht als alle anderen Banken. So nahe, dass die Bank oft »Government Sachs« genannt wird und in vielen US-Regierungen gleich mehrere Mitarbeiter des mächtigen Finanzinstituts parallel entscheidende Posten innehatten. Egal ob Bush, Obama oder Trump, alle vertrauten sie, wie viele US-Präsidenten vor ihnen, auf die Dienste von gleich vier oder fünf Goldman Sachs-Alumni. Die illustre Liste der Ehemaligen an den Schalthebeln der Weltwirtschaft ist lang und Sinnbild für den allgegenwärtigen Kooperatismus, welcher dem bisherigen Weltwirtschaftssystem aktuell ein antidemokratisches Korsett von totaler Digitalisierung und vierter industrieller Revolution überstülpt.


»Banken sind gefährlicher als stehende Armeen.« (Thomas Jefferson) 


Eine derart mächtiges, global operierendes Finanzinstitut, berät seine gut betuchte Kundschaft natürlich proaktiv und bietet vorausschauende Investmentstrategien an. Es erarbeitet Marktanalysen, versucht, Prognosen abzuleiten und betreibt Trend-Forschung für die locker sitzenden Milliarden, die verschoben und vermehrt werden wollen. Bereits vor über drei Jahren veröffentliche Goldman Sachs daher ein interessantes und weitsichtiges Dokument. Es geht um wohlklingende »Opportunities« und sprudelnde »Profit Pools«. Klingt finanziell vielversprechend und irgendwie positiv. Gemacht für eine Power-Point-Folie.


Bedeutet in der Realität aber zum Beispiel, dass die Zivilisationskrankheit Krebs mit einer projizierten Anzahl von Krankheitsfällen im Jahr 2022 für die Bank einen abschöpfbaren »Profit Pool« von 1,2 Billionen US-Dollar darstellt. Und, dass dieser sich, aufgrund der erwartbar konstanten Zunahme von Krebserkrankungen in den Folgejahren, »positiv« für Großinvestoren entwickeln wird. Es geht um Marktchancen, die man versucht zu realisieren. Man kalkuliert mit Leid und Tod und hofft auf eine konstante Zunahme der Patientenzahlen. Jeder Erkrankte steigert den ROI (Return on Investment). Big Pharma ist nicht an rascher oder vollständiger Genesung interessiert, sondern, wie Goldman Sachs richtig feststellt, an langen, kostenintensiv therapierbaren Krankheitsverläufen. Das ist zynisch – aber der amoralische Kern von Kasino-Kapitalismus im Endstadium.


»Krebs ist auch ein nachhaltiger Markt, da die Patientenpopulation fast ausschließlich von Vorfällen abhängig ist.« (Goldman Sachs)


Die offensichtliche Negierung moralischer Werte und Grenzen zum Zweck der Gewinnoptimierung, die einem die Lektüre des von Goldman Sachs im April 2018 veröffentlichten Strategiepapiers namens »The Genome Revolution« (Die Genom-Revolution) förmlich zuwider macht, ist wohl nicht vermeidbar, wenn man hauptberuflich Leben gegen Dividenden aufrechnet.


So verwundert es kaum, dass das besagte Papier nicht nur davon spricht, wie man vorhandene Marktchancen realisiert und möglichst lange ausreizt, sondern auch über Szenarien, um deren Eintrittswahrscheinlichkeiten zu erhöhen. Dabei wird bewusst vorsichtig formuliert und stets das hehre Ziel der Volksgesundheit betont. Die wahren Intentionen sind aber kaum von der Hand zu weisen. Auch wenn sie zwischen den Zeilen versteckt sind. Begeistert von den Möglichkeiten, neuen Märkten und langfristigen Einnahmequellen, berichtet Goldman Sachs in seinem Genome-Report davon, welch lukrative Zeiten die rapiden Fortschritte in der Gen-Medizin und damit dem personalisierten Pharma-Markt versprechen. Es herrscht Goldgräberstimmung.


Und seit März 2020 wird immer deutlicher, dass die Prognosen von Goldman Sachs nicht falsch waren. Seit dem Beginn der Corona-Krise stehen RNA-Eingriffe und Gentherapien im Fokus. Althergebrachte Behandlungsansätze und das Gesundheitswesen, wie wir es kannten, wurden im Zuge der »Pandemie« revidiert und auf den Kopf gestellt. Einige Auszüge aus dem Genom-Report von Goldman Sachs verdeutlichen die Stoßrichtung der Hochfinanz:


»Da solide Tumore viel häufiger vorkommen als Blutkrebs, sehen wir den klinischen Erfolg bei soliden Tumoren als Schlüssel zur Realisierung der potenziellen Marktchancen über 1,2 Billionen US-Dollar für gentechnisch veränderte Zelltherapien.«

 

»Die nächste Wachstumschance in diesem Bereich wird wahrscheinlich aus der Optimierung von Zelltherapien resultieren, die zur Anwendung in früheren Behandlungslinien bei CD19+ und BCMA-exprimierenden Blutkrebsarten und neuen Blutkrebsarten führen, zum Beispiel AML. Auch die Gentechnik anderer Immunzellen wie Makrophagen oder der Einsatz bei Autoimmunerkrankungen kann zu neuen therapeutischen Einsatzmöglichkeiten führen.«

 

»Ständige Innovation und Portfolioerweiterung: Es gibt Hunderte von erblichen Netzhauterkrankungen (genetische Blindheitsformen). Sobald eine Gentherapie für eine genetisch bedingte Augenerkrankung zugelassen ist, könnte die validierte Plattform genutzt werden, um schnell viele weitere augenbasierte Gentherapien zu entwickeln. Auch das Innovationstempo wird eine Rolle spielen, da zukünftige Programme den rückläufigen Umsatzverlauf früherer Vermögenswerte ausgleichen können.«


Und auch die ethischen Implikationen werden angesprochen, beziehen sich bei Goldman Sachs aber nicht auf die generelle Frage, ob es ethisch überhaupt vertretbar ist, den »Source-Code« des Menschen langfristig zu modifizieren, sondern auf die möglichen sozialen Gefälle, die entstehen, wenn reiche Bevölkerungsgruppen künftig Zugang zu Gentherapien und -optimierungen haben, andere jedoch nicht. Die Bank fragt also nicht, ob Gentechnik der dominierende Ansatz in der Therapie von Krankheiten aller Art werden wird, sondern nur wann und für wen:


»Da es möglich wird, Gene zu modifizieren (zu ersetzen oder zu löschen), wird auch die Frage relevant, ob es ethisch vertretbar ist, eine Gen-Augmentation durchzuführen, um Merkmale wie Größe oder Intelligenz zu verbessern. Der ungleiche Zugang zu einer solchen Gentherapie könnte – angesichts der hohen Kosten – auch Bedenken hinsichtlich der Zunahme sozioökonomischer Ungleichheiten aufkommen lassen. Während einige Gene eindeutig Krankheiten verursachen, gibt es keine allgemein akzeptierte Definition dafür, was »gute« vs. »schlechte« Gene ausmacht. Der Anstieg der Genom-Medikation könnte auch zu vermehrten Gentests führen, deren Ergebnisse Auswirkungen auf den Krankenversicherungsschutz haben könnten.«

 

Aus heutiger Sicht fast prophetisch. Auf den letzten Seiten des Reports wird China, welches eine führende Rolle in klinischen Studien zu Gentherapien eingenommen hat, als leuchtendes Beispiel für die künftige Marktentwicklung herangezogen. Erwähnenswert für Goldman Sachs ist vor allem die Tatsache, dass innerhalb der vergangenen vier Jahre über 270 Projekte in diesem Bereich durchgeführt wurden und die chinesische Regierung diese Vorhaben massiv unterstützt. Noch positiver wird die Tatsache bewertet, dass China keine spezifischen Regulatorien etabliert hat, welche die Genmodifikation während klinischer Studien einschränken könnten und die durchführenden Entitäten so bisher relativ autonom über Umfang und Art ihrer Studien entscheiden.


Der Genom-Report von Goldman Sachs macht deutlich, dass die strategische »Roadmap« für die Veränderung des Gesundheitswesens hin zur digitalisierten Individualmedizin mit einem Fokus auf Gentherapien lange vor der Corona-Krise feststand. Die rapide Innovation im Bereich der Gentechnik, in Kombination mit neuen Möglichkeiten der Nanotechnologie, sowie die vollständige Digitalisierung des modernen Lebensraumes, hat schon Jahre vor der aktuellen Krise einen Goldrausch bei Big Pharma und dem digital-finanziellen Komplex ausgelöst.


Daher war die überstaatliche Global Governance der »Public-Private-Partnerships« Anfang 2020 auch bereit, die Kontrolle zu übernehmen, kaum war die Pandemie ausgerufen. Der Lobbyismus hatte im Vorfeld mindestens zwei Jahrzehnte Zeit, um die juristische Landschaft entsprechend günstig zu beeinflussen. Und die Milliardengewinne, die Konzerne wie Pfizer, Moderna, Astra Zeneca oder auch Amazon und Apple im Zuge des anhaltenden weltweiten Gesundheitsnotstands realisieren konnten, bestätigen die weitsichtigen Empfehlungen von Goldman Sachs´ Analysten.


Was der Goldman Sachs-Report bedauerlicherweise undiskutiert lässt, sind die langfristigen Implikationen einer genetischen Veränderung der elementaren Bausteine des Lebens für die Rasse Homo sapiens und unsere menschliche Zivilisation als solches. Das Dokument bespricht natürlich auch nicht die ideologischen Beweggründe und dystopischen Zukunftsvisionen der superreichen Venture-Capital-Konglomerate und Großinvestoren, die wie besessen daran arbeiten, den Menschen wie wir ihn kennen, zu ersetzen. Durch eine genetisch editierbare, transhumane Version.


Diese Ideologie des Transhumanismus ist in elitären Zirkeln weit verbreitet. Die Liste der einflussreichen Fürsprecher und »First-Mover« ist lang und reicht von Eric Schmidt über Nick Bostrom bis hin zu Elon Musk, der mit seiner Firma Neuralink bereits in der Testphase für Gehirnimplantate ist. Der Download eines kompletten menschlichen Gehirns inklusive Erinnerungen und Emotionen wird laut Musk bis in wenigen Jahren möglich sein.


»Alles, was gegen die Natur ist, hat auf die Dauer keinen Bestand.« (Charles Darwin)


Vermarktet wird die Ideologie des genetisch optimierten, verbesserten Menschen, die Fusion physischer und digitaler Welt, natürlich ausschließlich mit positiv besetzen Werbefloskeln. Der Gedanke, dass der Beginn des Transhumanismus das Ende unserer bisherigen Spezies bedeuten könnte, wird bei all der Optimierungseuphorie gerne verdrängt. Aus dieser Perspektive betrachtet, sind die Ansätze der Post-Humanisten schlichtweg als moderne Eugenik und nicht als logische Weiterentwicklung der menschlichen Evolution zu verstehen. Die Nähe des Transhumanismus zur Eugenik, also der Erbgesundheitslehre, von Faschisten zur Rassenlehre erhoben, beschreibt selbst ein Wikipedia-Artikel relativ gut.


Leider dienen also Innovationen auf dem Feld der Gentechnik, wie sollte es anders sein, primär Großkonzernen und vermögenden Investoren, nicht der neuerdings zum Lebensinhalt beförderten Volksgesundheit oder dem erkrankten Individuum. Das hat bereits die Geschichte des Gen-Mais in den USA gelehrt. Die Story war einer von vielen Vorboten heutiger Zustände. Und die Bauern in Amerika haben bis dato mehr Probleme denn je. Wall Street und internationaler Turbokapitalismus haben zwischenzeitlich nicht nur die Natur samt ihren natürlichen Ressourcen in einer neuen Anlagekategorie (siehe »natürliches Kapital«) zum Spekulationsobjekt degradiert, sondern auch den Homo sapiens selbst zu einem profanen »Investment-Asset« gemacht. Und jetzt verfahren sie marktwirtschaftlich entsprechend, um Renditen abzuschöpfen.


Die Bevölkerung der westlichen Demokratien konnte die neuen supranationalen Strukturen, die alles und jeden nur noch als Profit-Pool oder wandelnden Datensatz einstufen und jetzt darauf aus sind, das biologische Fundament der menschlichen Spezies zu manipulieren, nicht demokratisch wählen. Aber man hätte die Entwicklung kommen sehen können – läge bei der Bildung nicht seit vielen Jahrzehnten so einiges im Argen. Jetzt bleibt der Mehrheit der 7,9 Milliarden Erdenbewohner vermutlich wenig anderes übrig, als für einen nicht abschätzbaren Zeitraum das profane Investment-Objekt und unmündige Versuchskaninchen für die inhumane Kundschaft von Goldman Sachs und Konsorten zu geben.


»Bankraub: Eine Initiative von Dilettanten. Wahre Profis gründen eine Bank.« (Berthold Brecht) 


 

Foto: Netzfund (Bearbeitung: regenauer.press)


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