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Gestatten - Bertrand Russel

Der erste Teil einer losen Reihe von Portraits, die mittels historischer Kontextualisierung und einem genaueren Blick auf einflussreiche Personen der Vergangenheit versuchen will, Entwicklungen der Gegenwart in einem klareren Licht erscheinen zu lassen.




Tom-Oliver Regenauer | 06.11.2022

Obwohl im Verlauf der zurückliegenden Dekade überdeutlich wurde, dass der Nationalstaat längst entmachtet ist und die Regierungsgewalt – direkt wie indirekt – an supranationale Organisationen wie die Vereinten Nationen (UN) übereignet wurde, glauben nicht wenige noch immer daran, dass den sozioökonomischen Herausforderungen dieser Tage mit Widerstand gegen die hiesige Regierung beizukommen sei.


Die als »Verschwörungstheorie« verpönte Weltregierung ist aber bedauerlicherweise schon Realität. Seit langem. Denn auch wenn die nationalstaatlichen Machtapparate weiterhin als Exekutive fungieren und unbeirrt die hanebüchene Posse von der repräsentativen Demokratie zum Besten geben, definieren sie schon lange nicht mehr die Strategie, an der sich wirtschaftliche, soziale oder politische Transformationsprozesse orientieren. Der Status Quo, die Zeitenwende, das New Normal, Stakeholder Kapitalismus – all diese Marketingbegriffe stehen für ein und dasselbe: Die Realisierung totalitärer, imperialistischer und von Eugenik geprägter Herrschaftskonzepte, die von einflussreichen Denkern im ausgehenden 19. und angehenden 20. Jahrhundert zu Papier gebracht wurden.


Daher lohnt es sich, besagten Zeitraum und Personenkreis hin und wieder genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn ein Blick in die heutzutage oft negierten Schriften dieser Zeit belegt, dass die derzeitigen Entwicklungen keinesfalls organischer Natur, Fügung, Schicksal oder Zufall sind, sondern die Ergebnisse kalkulierten, supranationalen Machtstrebens. Im Lichte einhundert Jahre alter Ideen zur Steuerung der menschlichen Zivilisation erscheint das chaotisch-dystopische und von Informationsflut verklärte Bild einer disruptiven Postmoderne mit scharfen Konturen.


Der Auftakt einer losen Reihe entlarvender Portraits mit dem Titel »Gestatten«, die den Leser idealerweise zur weiteren Recherche animieren, widmet sich Bertrand Russel, einer vermeintlichen Leitfigur des Pazifismus. Der 1872 in Wales geborene Brite betätigte sich laut einschlägiger Enzyklopädien vor allem als Philosoph, Mathematiker und Logiker. Im Jahr 1950 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. Zunächst jedoch verlebte er eine einsame Jugend. Denn sowohl seine Eltern als auch seine Schwester starben als Russel gerade einmal drei Jahre alt war. So wuchs er zusammen mit seinem Bruder bei den Großeltern auf. Dort wurden die Kinder von einem atheistischen Hauslehrer unterrichtet. Eine öffentliche Schule durften sie nicht besuchen, da man den Nachwuchs vor dem Einfluss der Religion abschirmen wollte, die im Hause Russel als schweres Übel betrachtet wurde. Als auch der Großvater im Jahr 1878 und sein Bruder im Jahr 1931 starben, erbte Bertrand Russel den Titel der männlichen Linie der Familie und wurde zum »Earl«.


Ein Stipendium verhalf dem 28-jährigen Russel dabei, an der Universität von Cambridge Mathematik zu studieren. Das tat er von 1890 bis 1894. Anschließend erhielt er ein Fellowship der Universität, das ihm ermöglichte, dort bis 1901 ohne bindende Verpflichtungen forschen zu können. Danach widmete er sich, lediglich kurz unterbrochen von einem kurzen Intermezzo als Botschaftsmitarbeiter in Paris, der theoretischen Arbeit als Mathematiker, Philosoph und Schriftsteller. Wenig später verfasste Russel mit der von 1910 bis 1913 in mehreren Teilen publizierten »Principia Mathematica« eines der bedeutendsten Werke des 20. Jahrhunderts auf diesem Gebiet.


Darüber hinaus veröffentlichte er im Lauf seines Lebens eine Vielzahl von Büchern, Essays, Pamphleten und Briefwechseln, die sein Bild in der Öffentlichkeit bis heute prägen. Russel war Atheist und kritisierte jedwede Form religiöser Überzeugung. Für den Sozialismus konnte er sich dagegen begeistern. Speziell für den sogenannten Gildensozialismus. 1922 und 1923 kandidierte er für die im Jahr 1900 gegründete, sozialdemokratische »Labour Party«, eine der drei großen Parteien des Vereinten Königreiches. Allerdings ohne Erfolg. So unterrichtete er an der Cambridge University, der London School of Economics, der Harvard University und der Universität von Peking.


»Die Menschen werden ignorant geboren, nicht dumm. Sie werden dumm gemacht von ihrer Bildung«, schreibt er 1946 auf Seite 578 seines Buches »Geschichte der westlichen Philosophie – Sammleredition«.


Fokussiert man diese weithin bekannten Informationen zu Bertrand Russels Lebenslauf, regen sich verständlicherweise kaum Zweifel am Image der vermeintlichen Ikone. Denn allzu oft wird in der medialen Darstellung unterschlagen, dass der 1970 verstorbene Brite weder Pazifist noch Sozialdemokrat war. Gegen den Krieg sprach er sich nur zu Zeiten des Ersten Weltkrieges aus. Schon während des Zweiten Weltkrieges wollte er von Pazifismus nichts mehr wissen. Im Gegenteil forderte er nach Kriegsende einen vernichtenden Präventivschlag gegen die Sowjetunion, die zu diesem Zeitpunkt noch keine Atomwaffen besaß. Nach eigener Aussage, um die menschliche Zivilisation vor einem nuklearen Holocaust in der Zukunft zu bewahren.


Diese argumentative Position erinnert nicht grundlos an die heutigen Rechtfertigungsversuche für das konstante Weiterdrehen der Eskalationsspirale im Rahmen der Ukraine-Krise. Auch die NATO, das nordatlantische »Verteidigungsbündnis«, wie sich der wertewestlich-imperialistische Expansionsapparat euphemistisch nennt, begründet ihren Konfrontationskurs gegenüber Putin mit Friedenssicherung. Russland muss vernichtet werden, bevor es uns vernichten kann – so die Handlungsdoktrin.


Eine Strategie, deren geoökonomische Dimension die wenigsten wahrnehmen – oder wahrhaben wollen. Dass Krieg ein gutes Geschäft für die internationalen Bankenkartelle sowie den militärisch-industriellen Komplex ist, leuchtet selbst manchem Befürworter des aggressiven NATO-Kurses noch ein. Dass eine militärische Auseinandersetzung nicht zum Ziel hat, einen Sieg zu erringen, sondern meist anhaltende Destabilisierung spezifischer Regionen das gewünschte Resultat ist, erscheint den meisten allerdings unrealistisch. Denn sie gehen weiterhin davon aus, dass die 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen (UN) autonom entscheiden und agieren.


»Euer Gehorsam ist grenzenlos, und er wird, dass ich es euch nur sage, von Tag zu Tag unverzeihlicher.« (Thomas Mann)


Bis zu einem gewissen Grad ist dies selbstredend auch der Fall. Doch wie die Covid-Krise bereits erkennen ließ, setzen sich Institutionen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit Leichtigkeit über nationale Gesetzgebung hinweg, wenn entsprechende Szenarien eintreten und von den UN-Mitgliedsstaaten vertraglich abgestimmte Ausnahmeregeln greifen. So formt sich der institutionelle Globalismus um die Narrative einer segregativ denkenden Deutungselite.


Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es um internationalen Frieden, was die Gründung der UN im Jahr 1945 rechtfertigte. Nach der Veröffentlichung von »The Limits to Growth«, dem Klima-Apokalypse-Manifest des Rockefeller’schen und in Winterthur (Schweiz) ansässigen »Club of Rome«, war ab 1972 Umweltschutz das Thema der Stunde. Dies wiederum gab im Jahr 1988 Ausschlag, in Genf (Schweiz) das IPCC zu gründen (Intergovernmental Panel on Climate Change), einen »zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderungen«.


Dieser beansprucht – und besitzt – seither die alleinige Deutungshoheit, das Primat und Diktat in Sachen menschengemachter Klimawandel. Obwohl im Zuge des Climategate-Skandals bereits 2009 deutlich wurde, dass die entsprechenden Klimamodelle manipuliert sind und für die Durchsetzung politischer Ziele missbraucht werden. So nimmt diese demokratisch nicht legitimierte Unterorganisation des 1972 gegründeten UNEP (Umweltprogramm der Vereinten Nationen) massiv Einfluss auf den Lauf der Welt. Denn ohne deren von Mal zu Mal panischer werdende Berichte, gäbe es weder eine »Green Economy« noch einen »Net-Zero-Kurs« in Sachen CO₂, der mittlerweile praktisch auf jeden Aspekt der menschlichen Existenz Einfluss nimmt.  


Auf diese Art befördern Krisen und militärische Konflikte stets die Erstarkung der »Global Governance« – dem neofeudalistischen Konstrukt korporatistischer Technokratie, das von der UN, ihren 17 Sonderorganisationen sowie einer Armada an Nichtregierungsorganisationen und Think Tanks konzipiert und ideologisch unterfüttert wird, um sich in einer unheiligen Symbiose von Konzern-Oligarchie und Staatsmacht zu manifestieren.


Dass genau diese gesichtslose internationale Organisationsform seit mindestens 100 Jahren das langfristige Ziel angloamerikanischer Finanzeliten war, zeigen neben einer Vielzahl renommierter Autoren wie Carroll Quigley oder Antony C. Sutton auch Original-Dokumente von Cecil Rhodes, Henry Ford, John D. Rockefeller oder der UNESCO. Und eben auch jene weniger bekannten Arbeiten von Bertrand Russel, die in den Literaturlisten offizieller Lobhudelei gerne unterschlagen werden. Denn Verve entwickelte der kauzige Waliser Denker vor allem dann, wenn es um globale »Top-Down-Lösungen« für soziale, politische oder finanzielle Herausforderungen ging.


Dass Russel sich nicht unbedingt dem Gemeinwohl verpflichtet fühlte, legen seine Mitgliedschaften in feudal-elitären Organisationen nahe. Er war unter anderem Teil der Cambridge Apostels, einer bis anhin aktiven Geheimgesellschaft intellektueller Kreise der Universität von Cambridge, sowie der Fabian Society (Fabianische Gesellschaft), einer sozialistischen Gruppierung, die sich gemäß Leitlinie des Fabianismus auf die »Weiterentwicklung sozialistischer Ideen durch beständige Einflussnahme auf mächtige intellektuelle Kreise und Gruppen« fokussiert.


Das Ziel: soziokulturelle Evolution, anstatt Revolution. Die Verfassung der Fabianischen Gesellschaft wurde vom Eugenik-Enthusiasten George Bernard Shaw zu Papier gebracht. Da auch der von kontrollierter Zucht des Homo sapiens angetane Schriftsteller H. G. Wells Mitglied der Fabianer war, kann davon ausgegangen werden, dass sich Bertrand Russel nicht unbedingt in Gesellschaft ausgewiesener Humanisten befand. Denn die »Fabian Society« machte von Beginn an deutlich, dass sie an der zentralistisch koordinierten Optimierung des Menschen interessiert war, wie das Buch »Weeding the Garden: Die Eugenik-Rezeption der frühen Fabian Society« von Sören Niemann-Findeisen (2004) detailliert beschreibt.


Bertrand Russels Weltsicht gründet denn auch auf der Erhöhung, dem intrinsischen Herrschaftsanspruch einer herrschenden Klasse Auserwählter über das einfache Volk. Das zeigen seine beiden Bücher »Principles of Social Reconstruction« (Prinzipien sozialer Rekonstruktion, 1916) und »The Scientific Outlook« (Der wissenschaftliche Ausblick, 1954). Ersteres umfasst unter anderem die Kapitel »Krieg als Institution«, »Eigentum«, »Bildung«, »Heirat und die Bevölkerungsfrage« oder »Religion und die Kirchen«. Die Welt, die Russel in seinem 1916 veröffentlichten Buch beschreibt, gleicht verblüffend jenem Postulat eines güldenen Zeitalters »regelbasierter internationaler Ordnung«, das Organisationen wie das Weltwirtschaftsforum (WEF) oder die UN im Jahr 2022 ventilieren.


Auf Seite 105 schreibt Russel: »Um Krieg zu verhindern und gleichzeitig die Freiheit zu wahren, ist es notwendig, dass nur ein Militärstaat auf der Welt existiert; und dass bei Streitigkeiten zwischen verschiedenen Ländern gemäß der Entscheidung einer zentralen Behörde gehandelt wird. Diese Struktur bedingt natürlich einer Weltföderation, (…).«

Seine Handlungsempfehlungen klingen wie die Blaupause für das supranational konstituierte Imperium der Postmoderne. 73 Seiten später im Text geht es um die Bevölkerungsentwicklung.


»In Frankreich stagniert das Bevölkerungswachstum praktisch. Und in England wird es bald so sein. Das bedeutet, dass einige Bevölkerungsgruppen schrumpfen, während andere zunehmen. Wenn keine Veränderung eintritt, werden die schrumpfenden Gruppen aussterben und die Bevölkerung wird fast vollständig aus den jetzt zunehmenden Bevölkerungsschichten wieder aufgefüllt. Zu den schwindenden Gruppen gehören die gesamte Mittelschicht sowie die erfahrenen Handwerker. Die Gruppen, die zunehmen, sind die sehr Armen, die Trägen und Betrunkenen, die Schwachsinnigen. (…) Bedauerlich ist nicht der Geburtenrückgang an sich, sondern die Tatsache, dass der Rückgang in den besten Schichten der Bevölkerung am größten ist.«


Das Eugenik Archiv Kanada schreibt über Bertrand Russels Einstellung zur Eugenik:


»Er kritisierte die frühen Eugeniker dafür, dass sie die Erblehre zu sehr vereinfachten, dass sie andeuteten, dass Reiche den Armen genetisch überlegen sind, und dass sie rassistische Stereotypen unterstützten (Russell, 1957). Russell unterstützte jedoch bestimmte Aspekte der Eugenik und glaubte, dass sie nicht außer Acht gelassen werden sollte. Er befürchtete, dass sich die Qualität der menschlichen Rasse verschlechtern würde, also unterstützte er bestimmte eugenische Praktiken (Ironside, 2006). Beispielsweise schrieb er, dass sogenannte schwachsinnige Personen sterilisiert werden sollten, weil sie dazu neigten, eine enorme Anzahl unehelicher Kinder zu haben, die in der Regel völlig nutzlos für die Gemeinschaft seien« (Russell, 1957, S. 259 ).


Nur ein Jahr nach Publikation von Russels »Prinzipien sozialer Rekonstruktion« gründete sich in New York die Technokratie-Bewegung, die seine Ideen von der Weltföderation und einem allmächtigen Militärstaat – bewusst oder unbewusst – aufgriff und weiterentwickelte. Die Technokraten ergänzten das noch leblose Organigramm von Russels Weltregierung um jene Hebel und Steuerungsprozesse, die eine globale Kontrolle über die Zivilisation der von Technologie dominierten Zukunft ermöglichen sollten. Den Prototyp dieses inhumanen Systems totalitärer Überwachung kann man heute in China »bestaunen«.


38 Jahre nach seinen Vorschlägen zur soziokulturellen Evolution wird Bertrand Russel deutlicher. In »Der wissenschaftliche Ausblick« nimmt er 1954 explizit Bezug auf die Konzepte von Howard Scotts Technokratie-Bewegung, wenn er nicht mehr von Staaten und Regierungen spricht, sondern von »zentralistischer, wissenschaftlicher Regierung«, von Scientific Dictatorship, und der »Weltregierung«, anstatt einer »Weltföderation«. Russel redet kollektivistischen wie totalitären Gesellschaftsentwürfen das Wort. Und auch in puncto Privateigentum und Bildung schlug er 1954 einen härteren Ton an als in seinem 1916 veröffentlichen Werk. Kurze Auszüge aus dem Kapitel »Wissenschaftliche Regierung« verdeutlichen die Stoßrichtung:


»Derjenige, der von einer wissenschaftlich organisierten Welt träumt und seinen Traum in die Praxis umsetzen möchte, sieht sich mit vielen Hindernissen konfrontiert. Da ist der Widerstand durch Trägheit und Gewohnheit. Menschen wollen so leben, wie sie es immer getan haben. (…) Dann gibt es Widerstand aus berechtigtem Interesse: ein aus Feudalzeiten geerbtes Wirtschaftssystem verschafft Männern Vorteile, die nichts getan haben, um sie zu verdienen. (…) Neben diesen Kräften gibt es auch feindliche Idealismen. Die christliche Ethik steht in gewissen Grundzügen der Wissenschaftsethik, die zusehends reift, gegenüber. Das Christentum anerkennt die Bedeutung des Individuums und seiner Seele und ist nicht bereit, unschuldige Menschen für ein Ziel der Gemeinschaft zu opfern.« (S 240, 241)


»Die Gesellschaft von Experten, die ich mir vorstelle, wird alle bedeutenden Männer der Wissenschaft einschließen, mit Ausnahme einiger dummer, anarchischer Spinner. Sie wird als einzige Macht die neueste Waffentechnik besitzen und Bewahrer aller neuen Geheimnisse der Kriegskunst sein. Es wird also keinen Krieg mehr geben, da Widerstand der Unwissenschaftlichen zum offensichtlichen Scheitern verurteilt ist. Die Expertengesellschaft wird Propaganda und Bildung kontrollieren. Sie wird Loyalität gegenüber der Weltregierung lehren und Nationalismus zum Hochverrat machen. Die Regierung, die eine Oligarchie sein wird, wird der großen Masse der Bevölkerung Unterwürfigkeit einflößen und Handlungs- sowie Befehlshoheit auf ihre eigenen Mitglieder beschränken.« (S. 243)


»Wenn (...) die uns vorschwebende Weltregierung entsteht, wird eine ihrer ersten Aufgaben die internationale Organisation der Produktion sein. (…) Durch die Eliminierung des Wettbewerbs und die Konzentration der Produktion auf einen einzigen Konzern, könnte all diese Verschwendung vermieden werden.« (S. 247)


»Rohstoffe sollten nicht denen gehören, die durch Eroberung oder Diplomatie zufällig das Territorium erworben haben, in dem sie sich befinden. Sie sollten einer Weltbehörde gehören, die sie rationieren würde (...).« (S. 248)


Bertrand Russels sieben Jahrzehnte alte Konzepte ähneln jenen der Vereinten Nationen oder des Weltwirtschaftsforums auf verblüffende Art und Weise. Nur macht Russel keinen Hehl daraus, auf welche Regierungsform das hinausläuft. Während Klaus Schwab, der Chef des WEF, angestrengt versucht, das Publikum mit linguistischen Seiltänzen und Strohmann-Argumenten vom Kern seiner Aussagen abzulenken.


Russels totalitäre Visionen – wie auch jene der Technokratie-Bewegung – scheinen dieser Tage Realität zu werden. Auch wenn derzeit noch mehr als ein Konzern existiert und Rohstoffe bislang nicht von einer Weltbehörde verwaltet werden. Durch die Konzentration des Kapitals in einer Handvoll Vermögensverwaltungen, die wiederum jedes börsennotierte Unternehmen beeinflussen oder kontrollieren, die hausgemachte Energiekrise, die daraus resultierenden Lieferkettenprobleme und einen ausgeprägten Korporatismus sind wir aber wohl nicht mehr allzu weit von diesem Szenario entfernt. Die schleichende Machtergreifung von UN, WHO, Weltbank, IWF und Co. nimmt mit jeder Disruption mehr Fahrt auf und macht autonome Staaten de facto obsolet.


Und auch die reproduktionsmedizinischen Ideen von Bertrand Russel und seiner »Fabian Society« tragen Früchte. Sie assimilieren Gesundheitswesen und Zivilgesellschaft unter euphemistischen Labels wie »Biosoziale Forschung«, Bioethik, Transhumanismus, Demografie-Forschung, »Planned Parenthood« oder »Queer«-Bewegung. Kontrollierte Zucht des Homo sapiens und Abschaffung des Individuums im schillernden Gewand der Postmoderne. Nicht umsonst steht die Forschung am menschlichen Genom sowie dessen Optimierung für die Zeitenwende heute im Fokus der Financiers des von Fördermitteln usurpierten Wissenschaftsbetriebes.


Man scheint sich an den Konzepten fragwürdiger Vordenker des angehenden 20. Jahrhunderts zu orientieren. Im Kapitel »Wissenschaftliche Reproduktion« seines 1954 veröffentlichten Buches »Der wissenschaftliche Ausblick« beschreibt Russel diese wie folgt:


»Wenn die gleichzeitige Regulierung von Quantität und Qualität in Zukunft ernst genommen wird, können wir damit rechnen, dass in jeder Generation etwa 25 Prozent der Frauen und etwa fünf Prozent der Männer als Eltern der nächsten Generation ausgewählt werden. Der Rest der Bevölkerung wird sterilisiert, was ihre sexuellen Freuden in keiner Weise beeinträchtigen wird. (…) Väter hätten natürlich nichts mit ihren eigenen Kindern zu tun. Auf fünf Mütter würde im Allgemeinen nur ein Vater kommen, und es ist sehr wahrscheinlich, dass er die Mütter seiner Kinder nie gesehen hätte. Das Vaterschaftsgefühl würde damit vollständig verschwinden. Wahrscheinlich würde mit der Zeit dasselbe, wenn auch in etwas geringerem Ausmaß, in Bezug auf Mütter passieren. Wenn die Geburt vorzeitig eingeleitet und das Kind bei der Geburt von seiner Mutter getrennt würde, hätte das Muttergefühl kaum eine Chance, sich zu entwickeln. (…) Aufgrund der Sterilisation müssen Liebesaffären keine unangenehmen Folgen haben, solange sie nicht zwischen einem Mann und einer Frau stattfinden, die unsteril sind. Auf diese Weise kann den Arbeitern ein unbeschwertes und frivoles Vergnügen ermöglicht werden (…).« (S. 261, ff)


Die beiden referenzierten Werke des Nobelpreisträgers böten noch eine Vielzahl derartiger, von Unmenschlichkeit durchdrungener Zitate. Die Seiten triefen geradezu vor herrschaftlicher Arroganz eines überhöhten Denkens. Dass es Russel nicht um Humanismus, Pazifismus oder Demokratie ging, ist offensichtlich. Auch wenn die blumigen Worte seiner gefeierten Publikationen gerne diesen Eindruck erwecken. Er advozierte für neofeudale, segregative und eugenische Konzepte. Für eine totalitäre Weltregierung, einen imperialistischen Militärstaat, geleitet von »anerkannten« Spezialisten, Vordenkern sowie von der Elite eingesetzten Gouverneuren.

 

Er redete einer gezielten Zucht des Menschen das Wort, deklassierte benachteiligte Bevölkerungsgruppen und sprach ihnen das Existenzrecht ab. Er rief zur präventiven Vernichtung Russlands auf und kategorisierte Völker nach deren Kosten-Nutzen-Bilanz für jenes globale Kollektiv, das er sich für die Zukunft wünschte. Damit war Russel Teil einer verschwiegenen Bewegung aus den Reihen der angelsächsischen Hochfinanz, die sich Ende des 19. Jahrhunderts zum Ziel gemacht hatte, die weltweite Dominanz des britischen Imperiums wiederherzustellen – und zwar in Form eines globalen, von kommunistischen Ideen geprägten Kollektivismus. Vermarkten wollte man das avisierte Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell jedoch als repräsentative Demokratie. Diese galt es über Einflussnahme auf Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik in die gewünschte Richtung zu treiben. Die Mittel dazu hatte man ja.


Erhellend sind in diesem Zusammenhang nicht nur zwei Bücher von Caroll Quigley – »Tragedy and Hope« (1966) und »The Anglo-American Establishment« (1981) – oder jene von Antony C. Sutton zum Einfluss des Wall Street-Kapitals auf die jüngere Geschichte, sondern auch zwei wenig beachtete Publikationen des US-Autors John A. Stormer – »Non Dare Call it Treason« (1964) und »None Dare Call it Education« (1998). Denn sie belegen detailliert und anhand von Originalquellen, wie angloamerikanische Interessengruppen im Verlauf des zurückliegenden Jahrhunderts die Realisierung der Visionen von Russel, Shaw, Ford, Wells, Howard Scott, Edward Bernays et al. vorantrieben. Und zwar erfolgreich. Die Gegenwart spricht für sich.


Die finanzielle Unterwanderung des Bildungssystems, das Aufsetzen von Stipendien, die Gründung und Übernahme von Universitäten sowie ein von der Hochfinanz korrumpierter Wissenschaftsbetrieb waren der Schlüssel zur generationsübergreifenden Veränderung der Gesellschaft. Und damit des Menschen selbst. Nicht umsonst legten die Industrie- und Finanz-Mogule des angehenden 20. Jahrhunderts besonderes Augenmerk auf den Sektor Bildung und gründeten eine Stiftung nach der anderen. Sie nahmen vor allem in den USA direkt Einfluss auf die Organisation des Bildungswesens und die Lehrinhalte. Und damit auch auf die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Dem Motto folgend: Geschichte schreiben die Gewinner.

 

So lässt sich im Rückblick eine Kontinuität in Bezug auf die geostrategische, geoökonomische und zivilisatorische Entwicklung erkennen, deren Programmatik als Zufall zu bezeichnen geradezu töricht erscheint, so offensichtlich sind die finanziellen, zeitlichen und organisatorischen Zusammenhänge. Bemerkenswert – und bedauernswert – ist allerdings, dass sich nicht mehr Menschen des Umstandes gewahr sind, dass sie von Kasten und Netzwerken regiert werden, deren intellektuelle Vorbilder alles sind, außer Demokraten und Humanisten. Ein Umstand, dem ein regelmäßiger Blick in die Vergangenheit, das Aufzeigen historischer Zusammenhänge sowie Hinweise auf sachdienliche Literatur unter Umständen etwas entgegensetzen kann.


»Je näher der Zusammenbruch eines Imperiums rückt, desto verrückter seine Gesetze.« (Marcus Tullius Cicero)



Bild: Bertrand Russel (Quelle: BBC)


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