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Das Recht, in Ruhe gelassen zu werden
Ein Gespräch mit Prisca Würgler von »Die Freien«, das bereits am 14. September 2025 auf der Webseite des Magazins veröffentlicht wurde. Schriftlich zusammengefasst wurde die angeregte Konversation von Prisca.
Tom-Oliver Regenauer | 09.10.2025
Prisca Würgler: Lieber Tom, du bist in Deutschland aufgewachsen, aber lebst in der Schweiz. Was war der Grund, dass du das Land verlassen hast?
Tom-Oliver Regenauer: Mir wurde schon früh klar, dass die EU ein totalitäres Imperium wird. Das war vor über 15 Jahren, als das in meinem Bekannten- und Familienkreis noch als pessimistische Zukunftsangst gebrandmarkt wurde: Ich sei da sehr negativ eingestellt. Mittlerweile zeigt sich leider sehr deutlich, dass die EU sich zu einem bürokratischen Monster auswächst und dass es nicht um Völkerverständigung von unten geht. Das ist kein Staatenbund, in dem sich irgendwie Völker freundschaftlich zusammenschließen und dann gemeinsam etwas bewegen. Es ist eine von oben nach unten verordnete Politik aus Brüssel, die sich in weiten Teilen demokratischen Prozessen entzieht und totalitäre Ausmaße annimmt – im Moment mit Zensur unter so euphemistischen Begriffen wie »Democracy Shield« und »Digital Services Act«. Das neue Ding ist jetzt das Medienfreiheitsgesetz, das am Ende ein Zensurgesetz ist. Das soll unabhängige Medien kaputtmachen, und das wusste ich damals schon.
Die Schweiz ist die einzige direkte Demokratie der Welt, wo man tatsächlich noch mit Referendum auf Gemeindeebene, auf kantonaler und auf Bundesebene an der Verfassung mitarbeiten kann, wo man als Bürger noch ein gewisses Maß an Einfluss auf das hat, was passiert, und es keine Zentralregierung wie in Deutschland gibt, wo sich so ein paar Minister mit der Kanzlerin und am besten noch dem Bundesgerichtshof schön unter Ausschluss der Öffentlichkeit absprechen, wie die Linie zu sein hat. Insofern ist die Schweiz die letzte demokratische Insel auf dieser Welt.
Prisca Würgler: Na ja, ob die Schweiz wirklich eine gelebte Demokratie oder eine Scheindemokratie ist, werden wir ab Ende September wieder einmal sehen. Es wird wieder auf den Prüfstand gestellt mit der E-ID, die zur Abstimmung kommt. Das ist in anderen Ländern ja bereits beschlossene Sache – die Bürger können nicht dagegen ihre Stimme erheben, es ist egal, was sie dazu denken. Doch in der Schweiz kommt sie nun zum zweiten Mal zur Abstimmung. Eigentlich hatte das Volk seine Stimme dazu schon abgegeben, und doch kommt es jetzt wieder. Dieses Prinzip lässt sich in der Schweiz beobachten: Wird eine Vorlage nicht angenommen, bringt man sie in ein paar Jahren wieder, macht, dass sie mehrheitsfähig wird und dann doch durchkommt.
Tom-Oliver Regenauer: In der EU ist es genau so: Über den EU-Vertrag wurde ja schon auf einer Bilderberger-Konferenz in den 1950er-Jahren beraten und zwei Jahre später gab es den ersten Entwurf für eine EU-Verfassung. Dann gab es Abstimmungen in den Niederlanden und Frankreich, wo sie klar abgelehnt wurde. Dann strich man den Begriff »Verfassung«, änderte ansonsten nichts, nannte das genau gleiche Papier einfach den »Vertrag von Lissabon« und ließ wieder darüber abstimmen. Die Iren lehnten diesen Lissabonner Vertrag nochmals ab, und man wirkte auch dort mit Medienmanipulation so lange auf die ein, bis es am Ende durchging.
Auch bei der E-ID ist das im Prinzip sehr fragwürdig, wenn das schon abgelehnt wurde und man es nach ein paar Jahren einfach wieder bringt. Das spricht nicht für die demokratische Konstituierung in Bern. Eigentlich müsste man den Willen des Volkes akzeptieren und sagen: Wir wollen keine E-ID. Da habe ich gerade einen Text dazu geschrieben: »Gefährliche Sicherheit«. Ich halte das für die wahrscheinlich wichtigste Abstimmung seit Langem, wenn nicht insgesamt, denn das kann durchaus die letzte Entscheidung sein, die man in Freiheit trifft. Selbst wenn nämlich im Gesetz steht, dass die E-ID freiwillig ist, sieht man ja, wie Freiwilligkeit heute funktioniert.
Wir leben in einem Korporatismus, in dem Politik nur noch wenig Einfluss hat, aber hauptsächlich die Konzernstrukturen, NGOs und Stiftungen in einem Mischmasch mit Staaten und Regierungen – das nennt man modern gerne Public Private Partnerships. Man sieht es bei der Schweizer Post: Wer keine Swiss ID hat, kann den Account nicht mehr benutzen, mit dem man zuvor ein Päckchen umleiten konnte. Man zwingt einen also im Prinzip, so eine ID zu machen und am Ende wird es mit der E-ID wahrscheinlich genauso laufen. Die Regierung oder der Staat sagt: »Es ist freiwillig« – Aber wenn man ein SBB-Ticket kaufen möchte, sich bei der Gemeinde online anmelden oder beim Stromversorger irgendwas online machen will, wird man die E-ID brauchen. Man wird sie nach und nach überall einführen. Und auch auf Konzernebene, bei Facebook oder YouTube, wird man sagen: »Bitte Altersverifikation – in Ihrer Region geht das nur noch mit der E-ID«, und wenn Sie die nicht haben, dann sind Sie halt raus. Man wird es den Leuten so lange unbequem machen, bis sie es irgendwann annehmen.
Prisca Würgler: Das ist ja dieses Nudging, diese Vorgehensweise, mit der man die Leute in eine Richtung drängt und schrittweise etwas einführt. Die Schweiz als Insel der Freiheit – ich bin auch sehr gespannt, ob das so bleibt, beziehungsweise ob sich das bewahrheiten wird. Was bedeutet dir eigentlich Freiheit?
Tom-Oliver Regenauer: Ich möchte einfach mein Leben so führen, wie ich es möchte. Ich möchte nicht, dass mir da jemand reinredet und mir Vorgaben macht. Autoritäten akzeptiere ich dann, wenn Menschen Autorität haben – und das hat man nicht aufgrund eines Titels oder aufgrund eines Kompetenzverstärkers, den man sich um den Hals wickelt oder aufgrund finanzieller Verhältnisse. Autorität hat man, wenn man das mit dem Charakter ausstrahlt, weil man Lebenserfahrung vorweisen kann und Wissen hat. Da akzeptiere ich Autorität dann auch. Aber nur, weil jemand kommt und ein Kostüm anhat oder eine Uniform – darf er mir vorschreiben, was ich mit meinem Leben anzufangen habe? Das habe ich schon in der Schule nicht akzeptiert, weswegen ich da meistens zwar sehr gute Noten hatte, aber im Lehrerzimmer für wenig gute Laune sorgte.
Ich glaube, die wichtigste Regel in einer Gesellschaft ist: Jeder hat das Recht, in Ruhe gelassen zu werden. Das wäre im Prinzip die Regel, die man braucht, die wahrscheinlich auch das Gesetzbuch obsolet macht, wenn sich jeder daran halten würde. Mit diesem einfachen Leitsatz hätten wir eine sehr friedliche, prosperierende, gewaltfreie, florierende Gesellschaft, in der jeder machen kann, was er will, ohne vom anderen belästigt zu werden. Wenn ich dir ein Geschäft anbiete, und du sagst Nein, komme ich nicht in einer Woche nochmal mit demselben.
Also, Freiheit ist für mich im Prinzip das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, was auch impliziert, dass man andere in Ruhe lässt und nicht mit seinen Ideologien, Vorstellungen oder Ähnlichem bedrängt. Mir ist egal, wenn jemand mit der Regenbogenflagge auf der Straße herumrennt. Das können von mir aus alle gerne machen, kein Problem, solange man mich nicht zwingt, diese bei mir ans Haus zu hängen oder irgendwie die Sprache kaputtzumachen. Ich liebe Sprache und dieses Gendern ist eine Verunstaltung der deutschen Sprache. Die ist völlig inakzeptabel, und ich will nicht zu so etwas gezwungen werden.
Prisca Würgler: Der Angriff auf die Freiheit wird jeweils als Sicherheit verkauft. Die Menschen haben ja schon auch ein Sicherheitsbedürfnis, und gerade daran wird angeknüpft, nach dem Motto: »Wir schützen euch, wir erleichtern euch das Leben«. Wie groß ist dein Bedürfnis nach Sicherheit?
Tom-Oliver Regenauer: Irgendwann habe ich verstanden, dass Sicherheit eine Illusion ist. Ich habe nicht mal groß ein Bedürfnis nach Sicherheit. Ich habe ein Bedürfnis nach einer gewissen Routine, die sich auf mein Privatleben bezieht: Dass ich weiß, da ist mein Zuhause, ich hab ein Umfeld mit netten Menschen, Zugang zu meinen Büchern, zu meiner Musik, zu meinen Schallplatten, zu dem, was ich als Ökosystem so zu Hause habe. Und ich bin an einem Ort, wo ich auch in die Natur gehen kann. Das ist für mich das, was Sicherheit vermittelt. Wie man so schön sagt: Da, wo man seinen Hut hinlegt, ist man zu Hause. Und wenn man da eine Weile liegt, fühlt man sich halt auch zu Hause. Das ist eigentlich kein Land; im Prinzip habe ich mich auch in Mexiko zu Hause gefühlt, oder wo ich sonst auf der Welt überall arbeiten war. Wenn man da eine Weile ist, integriert man sich und ist da zu Hause – das vermittelt Sicherheit.
Dass der Staat einem Sicherheit vermitteln oder gewährleisten kann, ist eine haltlose Illusion. Es ist ja immer so, dass der Staat, der das Gewaltmonopol hat, Krieg führt oder sich gegen Aggressoren von aussen verteidigt. Aber diese Kriege entstehen nie einfach organisch, etwa weil es um drei Meter Grenzverlauf geht. In der Regel sind das lange im Vorfeld diplomatisch angebahnte Konflikte. Im Mittelalter beruhten diese noch auf persönlichen Animositäten, oder weil man irgendwelche Gebietsgewinne machen wollte, um Rohstoffe oder Sklaven auszubeuten. Aber in der Neuzeit, der Erste und Zweite Weltkrieg – das waren im Prinzip alles von langer Hand vorbereitete diplomatische Konflikte, die am Ende dazu führten, dass wir supranationale Institutionen bekamen, wie sie heute existieren: UN, Internationaler Währungsfonds, WHO … all das gäbe es ohne die bisherigen zwei Weltkriege nicht.
Von daher: Dass man das Gefühl hat, der Staat könne Sicherheit gewährleisten, ist eine fatale Illusion, weil sie natürlich die Leute auch dazu bringt, daran zu glauben, dass man durch das Wählen repräsentiert wird und dies das Sicherheitsempfinden oder die Sicherheitsstruktur im Lande stärkt. Aber der Meinung bin ich nicht. Wenn man die Geschichte anschaut, sieht man, dass in der Regel der Staat derjenige ist, der Gewalt ausübt.
Dazu gibt es noch einen philosophischen Punkt: Wenn ich nicht das Recht habe, jemanden zu töten, dann kann ich auch nicht durch Wahl dieses Recht an jemand anderen delegieren. Das heißt: Es ist eigentlich ungerechtfertigt, wenn die Polizei kommt und etwa bei einer Demonstration in Berlin Rentner verprügelt oder in Bern mit Gummigeschossen auf Demonstranten geschossen wird. Da sieht man ja, von wem Gewalt ausgeht: Nämlich nicht von den Demonstranten, die da mit einem Plakat oder einer Fahne rumstehen, sondern vom Staat, der unterdrücken will. Aber am Ende kann das Recht, das ich nicht habe, nicht durch Wahl an einen anderen delegiert werden. Der kann das Recht auch nicht haben. Es gibt kein Recht, über andere zu herrschen. Das gab es nie - und wird es nie geben.
Prisca Würgler: Ja, es sind die Staaten, die entscheiden, Kriege zu führen, das Militär beauftragen und die Waffen einkaufen. Es sind ja nicht die Bürger, die einfach mal aufeinander losgehen.
Tom-Oliver Regenauer: Eben, man käme ja nicht auf die Idee, wenn man den Nachbarn nicht mag, sich eine Panzerfaust zusammenzusparen oder mit drei anderen Nachbarn Panzer anzuschaffen. Dass man den Nachbarn vielleicht verprügeln würde, wäre ja vielleicht noch nachvollziehbar in einem gewissen Moment der Rage und einem Szenario der Selbstverteidigung. Man würde aber jetzt nicht anfangen, den ganzen Straßenzug, wo der wohnt, in Schutt und Asche zu legen, die Familie umzubringen und das Dorf niederzubrennen. Genau das ist aber, was Staaten tun.
Wenn ich einen Konflikt mit einer Person habe, dann wird er in der Regel durch Diskussionen gelöst. Oder man ist sich halt einig, dass man sich uneinig ist und hat dann nichts mehr miteinander zu tun. Aber es artet normalerweise nicht so aus, dass man sich gegenseitig umbringt und dann auch noch gleich die Familie mit und alle, die da wohnen. Also von daher: Dieses Sicherheitsdenken, das die Bevölkerung in weiten Teilen hat, dass der Staat Sicherheit gewährleistet, ist haltlos.
In Deutschland ist es jetzt besonders das Narrativ von den bösen Migranten, die einem überall mit Messern an die Gurgel wollen. Und da glauben natürlich viele Deutsche, dass jetzt so eine autoritäre Regierung wie in den USA gut wäre, die mit dem Militär im Inneren ankommt. Trump hat vor Kurzem die Nationalgarde in Washington auflaufen lassen und setzt damit einen Präzedenzfall. Das ist eine völlig verfassungswidrige Vorgehensweise. Niemand möchte Militär im Inneren haben, das artet immer aus. In der Geschichte kann man sich angucken, wie oft das schiefgegangen ist, wenn man anfing, Militär im Inneren einzusetzen.
Zuvor macht man den Leuten natürlich Angst mit der Migration, so wie vorher mit dem Virus oder mit der Bankenkrise, so dass sie dann die Lösung akzeptieren. Denn die Leute nehmen an, es gebe immer erst das Problem, dann eine Reaktion und dann die Lösung. Aber tatsächlich ist es anders herum: Es gibt immer erst die Lösung – die hat nämlich der Staat oder der Korporatismus schon in der Tasche. Dann kommt das Problem, und dann reagiert man mit der Lösung, die man schon hat: Seien es die E-ID oder entsprechende Gesetzesvorlagen. Der »Patriot Act« etwa: Da war nach zwei Wochen schon eine Gesetzesvorlage mit 250 Seiten fertig. Das lag natürlich schon lange da und musste nur noch aus der Schublade geholt werden.
So funktioniert das eigentlich immer:
Es ist nicht Problem – Reaktion – Lösung, sondern Lösung – Problem – Reaktion.