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Gesichtslose Ideologie - Die Krise als Substitut politischer Ideen

Von zwei Realitäten: Wieso diskutiert und spaltet sich die Gesellschaft über politische Ideen von Strukturen, die diese längst hinter sich gelassen haben? 


Tom-Oliver Regenauer | 16.02.2021 | Lesezeit: ~10 Minuten


Zwei Thesen:


  1. Die gesamte Bevölkerung dieses Landes hat zumindest ein gemeinsames Ziel: Das Ende der so nicht zielführenden, endlosen Lockdown-Politik und die damit verbundene Rückkehr des prosperierenden, gesellschaftlichen Lebens – unabhängig davon, ob man die Maßnahmen als zu lasch oder zu drastisch bewertet.

  2. Die meisten Menschen in diesem Land sind der Überzeugung, dass sie in der aktuellen Krise das Richtige tun, sich für das Gute engagieren und moralisch im Recht sind.


Es mag Ausnahmen geben. So formuliert, dürfte den beiden Thesen aber sicher eine überwältigende Mehrheit zustimmen. Trotzdem hört man derzeit primär Begriffe wie Covidiot, Schlafschaf, Corona-Leugner oder Corona-Jünger, wenn Menschen über Mitbürger sprechen, die eine gegensätzliche Meinung vertreten. Die Gesellschaft lässt sich spalten und gegeneinander ausspielen, obwohl die Ziele der konträren Lager im Kern identisch sind. Die Beweggründe, die Perspektive, die zu Grunde liegenden Werte und die Lösungswege sind unterschiedlich. Schlussendlich streben aber alle nach einem – dem normalen Leben. Allerdings findet das Bestreben in unterschiedlichen Realitäten statt.


Nun zerbrechen durch und an Corona derzeit unzählige Freundschaften, Beziehungen, Familien und Leben. Einmal durch die Krankheit selbst, wenn sie ausbricht. Zum anderen durch die Separierung, die das Thema medial, sozialpolitisch und in Beziehungen aller Art auslöst. Angst und Polarisierung sind nach etwa zwölf Monaten Pandemie so drastisch, dass man den Eindruck gewinnt, es ginge um fundamentale, ideologische Positionen. Hetze, Hass und Aggression von allen – gegen alle.


Es ist ein Informations- und Glaubenskrieg. Corona nimmt die sakrale Stellung einer Religion ein. Analog der Wissenschaft, die jetzt alleinig den ultimativen Leitfaden für das korrekte Handeln des Menschen liefert. Auch wenn das nicht das Grundverständnis des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses ist. Monokausale Weltanschauungen widersprechen dem Prinzip der Aufklärung.


Corona ist weder Bekenntnis, noch rechts oder links. Das Feindbild ist ideologisch diffus. Es geht nicht um Parteipolitik, sondern um den Menschen und das Leben an sich. Die einen wollen das Überleben der Vulnerablen sichern, um jeden Preis. Die anderen wollen das freie Leben einer offenen Gesellschaft schützen, weil »Überleben« allein nicht gleichzusetzen ist mit einem erfüllten Sein.


Beide Gruppen haben moralisch nicht Unrecht und verdienen, gleichberechtigt gehört zu werden. Warum also sprechen die Lager nicht miteinander? Wo ist der öffentliche Raum für diesen Streit? Und warum weiten die offizielle Kommunikation der Regierung sowie die Darstellung in den Medien den Diskurs auf politische Ideologien aus und treiben die gesellschaftliche Spaltung mit einer separierenden Meinungshoheit massiv voran?


Es geht doch nur um das Virus und die Frage, wie wir als Spezies und Gesellschaft sicher und sozialverträglich damit umgehen. Wenn es tatsächlich um das Retten von Leben geht, müssten Ideologien eigentlich hintenanstehen. Bei allen. Vor allem bei einer am Menschen interessierten Regierung. Diese sollte Kontext herstellen, ganzheitliche Lösungen und positiven Ausblick bieten, anstatt permanent Panik zu verbreiten. Die derzeitige Politik schafft eine Angst-Realität, eine paranoide Parallelgesellschaft, die das verstörende Potential hat, sich langfristig zu etablieren. Zum Nachteil aller Bürger.


Verfolgt man Diskussionen um die Corona-Maßnahmen auf Social-Media-Kanälen erkennt man, dass in den hitzigen Auseinandersetzungen fast immer eine politisch-ideologische Komponente mitschwingt. Vorurteile werden ausgetauscht und politische Lagerkämpfe geführt. Dabei sind diese Diskussionen völlig überholt. Sie helfen weder im Kontext der Krise noch in der Auseinandersetzung über deren Lösung.


Die alten politischen Überzeugungen sind entwertet. Sie haben keine Bedeutung mehr, außer Labels zu sein. Corona selbst ist die Ideologie. Eine ohne Insignien, Gesicht und Verantwortungsbewusstsein.


Das Virus zwingt sie uns auf. Wir haben keine Wahl. Und auch abwählen können wir sie nicht. Trotzdem verteidigen die Menschen weiter etablierte Denkmuster und alte Parteistrukturen, sind gefangen in althergebrachten Weltbildern. Die Informationsflut unserer Zeit zwingt den Normalbürger zu oberflächlicher, komprimierter Nachrichtenaufnahme und erschwert damit die vernünftige Einordnung sowie sachliche, selbstständige Bewertung von Informationen. So werden Meinungen gemacht, anstatt im Reflexionsprozess ausgebildet. Überschriften und Bilder setzen Themen. Die bleiben hängen. Das Studium von Originaltexten und Quellen ist technisch jedem möglich. Nur wer hat dafür Zeit und Energie?


Die Filterblase bestärkt jedes Lager in der Richtigkeit seiner Annahmen. Das schottet ab. Viele haben es bereits aufgegeben, anderen Meinungen und Weltanschauungen ernsthafte Aufmerksamkeit zu schenken. Argumente werden abgetan und abgewertet. Das ist einfach und vermittelt das gute Gefühl, das Leben im Griff zu haben, moralisch überlegen und Teil des richtigen Teams zu sein – im Idealfall der Mehrheit.


Vor allem scheint Corona die Fähigkeit zur Empathie zu blockieren. Könnten wir uns in das Gegenüber hineindenken, uns einfühlen, wäre der gesellschaftliche Diskurs konstruktiver. Die digitale Kommunikation lässt oft leider vergessen, dass hinter jedem Bildschirm ein Mensch sitzt. Säße er real gegenüber, wäre der Umgang respektvoller, abwägender. Das grundlose, ideologisch orientierte Ringen um einen identischen Zielzustand ist in der Anonymität und Distanz zum absoluten Selbstzweck verkommen.


Mit energieraubenden, emotionalisierten Grabenkämpfen dreht sich die Gesellschaft im Kreis. Sie ist derart fokussiert auf sich selbst, dass sie nicht bemerkt, wie sich die Welt um sie herum nachhaltig verändert. Sodass nach der Krise tatsächlich ein »New Normal« herrscht. Nicht revidierbar, zum Nachteil des normalen Steuerzahlers und seiner Nachkommen. Die meisten neuen Gesetze, Paradigmen und Machtbefugnisse werden wohl nicht zurückgenommen – so ist es seit den Tagen der Roten-Armee-Fraktion. Und auch die durch 9/11 gerechtfertigten Erweiterungen staatlicher Macht gelten fast ausnahmslos bis heute. Jetzt ist Corona allgegenwärtig und der Hebel. Die Situation löst Prozesse aus, die vor ein paar Jahren undenkbar gewesen wären.


Es wird versucht, der Bevölkerung eine neue Rolle zuzuweisen. In einer pervertierten Form von Demokratie. Wenn man das Soll-System dann noch so bezeichnen kann. Corona ist Religion. Das Leben, die Wissenschaft und unbedingte Solidarität sind die neue Dreifaltigkeit der Technokratie.


Das ist weder im Sinne der Maßnahmen-Befürworter noch der Maßnahmen-Kritiker. Beide Gruppen haben Kinder, und die leiden immer stärker unter den negativen Effekten der Krise. Langfristig, über Jahre oder Jahrzehnte. Was wiegen sechs Monate Kurzatmigkeit oder eine schwere Grippe gegenüber der psychisch gesunden Zukunft eines Kindes? Diese Diskussionen müssten öffentlich geführt werden, von Vertretern aller Lager.


Über den intrinsischen Drang, das Beste für den eigenen Nachwuchs zu wollen, sollten eigentlich gemeinsame Ziele zwischen den Lagern auszumachen sein. Ohne einen zeitnahen Diskurs der verschiedenen »Auslegungen« wird sich Corona als Ideologie ohne Ideologie gesellschaftlich verifizieren und erhärten. Die Paradigmenwechsel, die Umdeutung der Sprache, die neue Kontrollarchitektur und die marodierenden Risse in der Gesellschaft werden bleiben.


Die Corona-Politik scheint für jene leichter hinnehmbar, die von zu viel Freiheit und Leben überfordert waren. Wenn es  aber gemeinsame Ziele und ein inhärentes Streben nach Glück in allen Teilen der Gesellschaft gibt, warum verbietet sich dieselbe dann aus Angst vor dem Tod, der mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,23% als Corona um die Ecke kommt, das Leben selbst und streitet über dessen Wert an sich? Alle erkennen den Wert des Lebens an. Kein Zweifel. Die Definition von »Leben« ist vielleicht unterschiedlich.


Leben ist schön, zu kurz, immer riskant, unberechenbar und wertvoll. Vor allem aufgrund seiner Vergänglichkeit.


Maßnahmen-Kritiker und -Befürworter wollen es schützen. Auf unterschiedliche Weise. Es gibt Uneinigkeiten in der Risikobewertung. Aber auch eine gewisse Übereinstimmung, was die negativen Effekte der Corona-Maßnahmen auf die Gesamtgesellschaft angeht. Die Auswirkungen des politischen Kurses werden täglich sicht- und spürbarer. Für jeden. Nur die Schuldfrage unterscheidet beide Gruppen hier. Für die einen greift der Staat nicht hart genug durch und sorgt damit für eine Verschleppung der Lösung, für die anderen ist er übergriffig und handelt unrechtmäßig.  


Daher stellen sich angesichts der vertieften Risse in unseren Gesellschaften zwei Fragen.


  1. Wieso lassen sich Gesellschaften von Ideologien, die im Kontext der Krise keine Relevanz haben, überhaupt derart spalten, wenn das Ziel aller Bürger ist, ein friedliches, würdevolles, gesundes, sicheres und erfülltes Leben zu führen? Wieso streiten Menschen um austauschbare, politische Orientierungen, die keine echten Identifikationsmöglichkeiten mehr bieten, wenn es um das nackte Überleben geht?

  2. Wieso erreichen »Corona-Jünger« und »Corona-Leugner« keinen Konsens darüber, dass sie gemeinsam gegen die beiden realen Feinde der pluralistischen, gesunden, humanen, funktionalen und demokratischen Gesellschaft vorgehen müssen?

 

Das Virus ist der Feind. Und die vom Lobbyismus verseuchte, korrumpierte, politische Klasse, die eine sozial unverträgliche, interventionistische Politik propagiert und umsetzt, welche langfristig die Werte jeder aufgeklärten, pluralistischen Gesellschaft torpediert und das Leben aller Menschen negativ beeinflusst. Niemand will in der repressiven Öko-Diktatur leben, die ein Forschungsteam der Deutschen Bank jüngst in einem Strategiepapier heraufbeschwören wollte; oder heraufziehen sah.


Manche mögen Angst vor der Unberechenbarkeit des Lebens empfinden, oder schlechte Erfahrungen haben ihnen die Freude daran genommen. Viele können nichts dafür, dass es das Leben nicht gut mit ihnen meint. Zu viele. Ein besseres Dasein für viele lässt sich aber nur realisieren, wenn die Bevölkerung endlich beginnt, sich als lokale Einheit und Teil einer globalen Familie zu verstehen. Eine, der man nicht stetig auf infantile Art und Weise vorbeten muss, was Wahrheit ist und wie sie sich verhalten soll.


Dezentralisierung und Eigenverantwortung, mehr Elemente direkter Demokratie, eine modernisierte Verfassung. Es gibt viele Lösungsansätze, um unsere Demokratien zu verbessern – und alle funktionieren ohne einen zentralistischen Machtapparat. Egal, ob dieser nationalsozialistisch oder kommunistisch ist, Zentralisierung von Macht hat dem einfachen Menschen bisher nie gedient. Eine bessere, gerechtere Welt ist von Nöten und es gibt sie. Wenn alle versuchen, sich gegenseitig aktiv zuzuhören und sich bei Problemen oder Dissonanzen auf den Kern zu konzentrieren: Die pragmatische Lösung.


Um uns selbst zu verstehen, müssen wir mit anderen sprechen. Wir brauchen den Rückenwind des gemeinsamen Seins, die Resonanz der anderen, um uns als Individuum zu begreifen. Der Mensch ist mehr als seine körperliche Hülle, auf die er derzeit reduziert wird. Er hat Intellekt, Neugier, Leidenschaften. Er braucht soziale Einbettung, Feedback, Rituale und Traditionen. Das sollte sich die Gesellschaft nicht durch eine neue Realität nehmen lassen, die all das negiert und nur in den Köpfen mancher existiert. Mathematisch betrachtet ist alles normal, vergleichbar mit den Zeiten vor Corona. Es gibt keine Übersterblichkeit – trotzdem ist emotional und ideologisch kein Stein mehr auf dem anderen.


Ideologien vernebeln die Sicht auf die tatsächlichen Brandherde. Politische Orientierungen müssen beiseitegeschoben werden, um diesen disruptiven Zeiten gemeinsame, parteiübergreifende Lösungen entgegenzusetzen. Das Virus muss mit intelligentem Management zielgerichtet gehandhabt und die politische Führung komplett ausgetauscht werden.


Mehr direkte Demokratie wäre ein Anfang. Nur, wen sollte man da wählen?


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