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Demokratie war nie fair 

Das demokratische System: Nur eine Kosten-Nutzen-Analyse der herrschenden Klasse


Tom-Oliver Regenauer | 19.05.2021 | Lesedauer: 6 Minuten

Die Demokratie ist das goldene Kalb heutiger Politik und globale Direktive für moderne Gesellschaften. Wo sie nicht herrscht, bringt man sie hin – auch ungefragt und mit Gewalt. Für das vermeintliche Ideal der freien Märkte und die Herrschaft des Volkes sind Millionen von Menschen in Kriegen gestorben. Obwohl die hässliche Fratze des Kasino-Kapitalismus ihrem Ansehen in den vergangenen Jahrzehnten durchaus geschadet hat, wiederholen Regierende den Begriff Demokratie gebetsmühlenartig in jeder Rede und beteuern auf sakrale Art und Weise, wie ergeben sie diese gegen Angriffe und Einflüsse unlauterer Ansichten und Ideologien verteidigen – und das sind oft alle, außer die ihren.


Demokratie ist die für das Volk erträglichste Regierungsform. Eigentlich eine Volksherrschaft. Vermutlich das fairste Gesellschaftssystem, das die Menschheit bisher für ihr Zusammenleben entwickelt hat. Und trotzdem ist speziell die repräsentative Demokratie nichts weiter als eine simple Kosten-Nutzen-Analyse der Mächtigen, die ihre Herrschaft auch mit anderen Mitteln durchsetzen könnten. Doch Widerstand kostet und verteuert die Umsetzung kontroverser Ideen. So ist die dominante Regierungsform dieses Planeten im Kern nichts weiter als ein manipulatives Manöver, das den »Pöbel« mittels simulierter Partizipation im Zaum hält.


Das wusste auch schon Friedrich Nietzsche, der zum Thema Demokratie feststellte:


»Ich rede von der Demokratie als etwas Kommendem. Das, was schon jetzt so heißt, unterscheidet sich von den älteren Regierungsformen allein dadurch, dass es mit neuen Pferden fährt: Die Straßen sind noch die alten und die Räder sind auch noch die alten.«


Die ideale Regierungsform wäre wohl etwas Dezentrales. Womöglich eine abgewandelte Form direkter Demokratie mit lokalen Gremien, bestehend aus Bürgern aller Berufsstände und Bildungsgrade – mit sehr kurzen Amtszeiten, gebunden an Volksabstimmungen. Eine Gesellschaft, die sich auf Natur- und Menschenrechte beruft und keinen zentralen Machtapparat benötigt. Solch ein Gesellschaftssystem würde aber auch ein anderes, dezentrales Finanzsystem, einen neuen Bildungsansatz sowie ein verändertes Marktmodell voraussetzen. Leider passen derartige Gedanken nicht zum aktuellen Narrativ der alternativlosen Globalisierung. Wobei nur noch die Wirtschaft globalisiert, denn die individuelle Mobilität der Menschen wurde und wird weiterhin massiv eingeschränkt.


Vertiefte Gedanken dazu würden an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Ich werde sie jedoch in einem der kommenden Beiträge aufgreifen. Aus heutiger Sicht scheint die Demokratie in jedem Fall das kleinere Übel und somit die beste Option für den Normalbürger darzustellen. Nicht das schwer erreichbare Ideal einer fairen, offenen und friedlichen Gesellschaft, die im Einklang mit ihrer Umwelt existiert – aber eben auch keine brutale Diktatur, die Dissidenten wegsperrt, hängt oder bei Widerstand erschießen lässt.


Gerade darum gilt es, sie gegen das Primat einer absoluten, wissenschaftlichen Deutungshoheit und die Technokratie zu verteidigen. Wenn die Menschheit ihre Souveränität einmal Algorithmen, Maschinen und privaten Organisationen übereignet hat, wird sie diese nicht mehr zurückerlangen, sondern den neuen Göttern ausgeliefert sein. Die Smart City Agenda zeigt schon mal, wohin die Reise geht. Wahlen werden gemäß dieses Konzepts unwichtiger, da Artificial Intelligence und Big Data künftig besser und schon im Voraus wissen, was der Wähler will. Warum also überhaupt noch Wahlen veranstalten? Unglaublich, dass so etwas als demokratisches Vorhaben zu verkaufen ist.


Und mit der heutigen Form der demokratischen Gesellschaft sollte sich die Menschheit ohnehin nicht zufriedengeben. Zu weit ist sie von den tatsächlichen Idealen einer Herrschaft des Volkes entfernt. Freiheiten haben sich die Gesellschaften der Vergangenheit mühsam, scheibchenweise und oft blutig erkämpft. Und immer erst dann, wenn die Kosten der Repression den Nutzen überstiegen, waren die Herrschenden bereit, Zugeständnisse zu machen. Nur wenn Schäden und Verluste durch Aufstände, Revolutionen und Kriege den Eliten zu hoch erschienen, gaben sie klein bei und beendeten ihre Gewaltherrschaft.


So entwickelte sich im Griechenland des 5. Jahrhundert v. Chr. die Attische Demokratie als Vorläufer des Prinzips der Volkssouveränität – auch wenn zu dieser Zeit nur ein geringer Teil der Bevölkerung das Recht zur politischen Partizipation hatte. Auch die Gewaltenteilung existierte noch nicht in ihrer heutigen Form. Ab diesem Zeitpunkt konnte sich die Demokratie in ihren verschiedenen Ausprägungen historisch immer dann durchsetzen, wenn den Nutznießern eines Staatsapparats die Durchsetzung totalitärerer Herrschaftssysteme kostspieliger erschien als wohl dosierte Zugeständnisse an ihre Untergebenen. Clever, aber eigentlich sehr durchschaubar.


In einer existentiellen Krise Athens legten die Reformen des Solon so den Grundstein für eine neue, indirekte Form der Herrschaft der Wenigen über die Vielen. Unter dem Vorwand, die Bevölkerung an der Gestaltung des Staatswesens teilhaben zu lassen, sicherten sich die wohlhabenden Herrscher Athens mit den Reformen ihre Macht und Vermögen, die sie im Falle einer Revolution mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verloren hätten.


Je indirekter Macht ausgeübt wird, desto effizienter ist sie. So erklärt sich das heutige Wirrwarr an Stiftungen, Lobbys, NGOs und sonstigen Organen, die mittelbar oder unmittelbar Einfluss auf die Politik nehmen. Die Regierenden selbst treffen kaum noch unliebsame Entscheidungen. Sie folgen stets wissenschaftlichen Studien, Empfehlungen von Experten, reagieren ad hoc auf Krisen oder lagern staatliche Verantwortlichkeiten gleich komplett an privat finanzierte Organisationen aus. Damit bleibt man unangreifbar. Verantwortlich sind immer andere. Oder gar niemand. Was das langfristig bedeutet, haben scheinbar noch nicht alle verstanden.


»Ohne politische Erziehung ist das souveräne Volk ein Kind, das mit dem Feuer spielt und jeden Augenblick sein Haus in Gefahr bringt.« (Johann Heinrich Pestalozzi)


Gerne wird bei Diskussionen über Demokratie auf Amerika als Leitbild verwiesen. Leider wird dabei meist unterschlagen, dass speziell das System in den USA ein Vehikel zum Machterhalt der Reichen ist. Seit etwa 200 Jahren haben eine überschaubare Anzahl begüterter Familien signifikanten Einfluss auf den Lauf der Dinge im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Industrielle Monopole in der Öl- und Stahl-Branche brachten die ersten Milliardäre der Welt hervor. Diese erweiterten ihr Unternehmensportfolio und damit ihren Einfluss bald auf die Nahrungsmittel-, Automobil-, Kommunikations- und Pharma-Industrie. Die so kumulierte Macht nutzen die Reichen des Landes, um die Politik der USA maßgeblich zu beeinflussen. Dass diese mit ihrem Zwei-Parteien-System und dem undurchsichtigem Wahlmänner-Konzept wiederum meilenweit vom Ideal einer Herrschaft des Volkes entfernt ist, müsste offensichtlich sein. Durch ihre Raffgier in der Bevölkerung verhasst, entschied sich der Club der Milliardäre früh, Image-Kampagnen zu lancieren und philanthropisch aufzutreten, um eher indirekt Einfluss zu nehmen. Sie finanzierten unzählige Organisationen, Bildungsstätten und Einzelpersonen, die ihre Agenda vertraten. Auch die UNO erhielt ihr Grundstück in New York als Spende vom Rockefeller-Clan.


Weil die Mächtigen die Demokratie nie mochten, sie immer nur als Mittel zum Zweck sahen, stemmen sie sich bis heute erfolgreich gegen Elemente direkter Demokratie. Verfassungsgebende Versammlungen, obligatorische Volksentscheide und eine bunte Parteienlandschaft kommen keinem elitären Zirkel zupass. Zu kompliziert, langwierig und komplex hört man da immer. Eine kleine Anzahl von Repräsentanten ist eben leichter zu kontrollieren, zu kaufen und zu manipulieren als ein ganzes Volk. Auch wenn die modernen Massenmedien dahingehend ganze Arbeit leisten. In einer Demokratie brauchen Entscheidungen Zeit. Nur die Diktatur ist schnell.


Demokratie müsste auch bedeuten: Ein schlanker Staat, der sich auf seine Kernkompetenzen konzentriert. Stattdessen sehen wir besonders in Europa einen permanenten Zuwachs staatlicher Paternität, Kontrolle und Übergriffigkeit – auch in privateste Bereiche. Mehr Polizei und Repression ist die Antwort auf alle Probleme.


Schon Wladimir Iljitsch Lenin sagte dereinst: »Demokratie ist die Vorstufe des Sozialismus.«


Dagegen gilt es mit allen verfügbaren rechtsstaatlichen und friedlichen Mitteln vorzugehen. Denn wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht. Und dass auch der Rechtsstaat mittlerweile durchaus Gefahr läuft, unterlaufen oder gleichgeschaltet zu werden, konnte man in Deutschland im Lauf der letzten Monate zur Genüge beobachten. Wenn Richter wegen unpopulären Urteilen Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen müssen, ist es um die unabhängige Jurisdiktion nicht besonders bestellt. Umso wichtiger sind Engagement für Natur- und Völkerrecht, basisdemokratische Vorhaben, ziviler Ungehorsam oder neue Parteien, die sich gegen die vom Lobbyismus ausgehöhlte und von der Finanzbranche zerfressene Politik wenden und versuchen, der Bevölkerung die Rolle zukommen zu lassen, die sie in einer Demokratie verdient.


»Es ist gefährlich, in Dingen recht zu haben, in denen die etablierten Autoritäten unrecht haben.« (Voltaire)


Solange man seine Meinung noch öffentlich kundtun kann, ohne dafür weggesperrt oder ermordet zu werden wie Querulanten in China, muss davon Gebrauch gemacht werden. Ich bin überzeugt, dass es für eine sehr lange Zeitspanne nur noch diese eine Chance geben wird, die Macht in die Hände der Vielen zu legen. Wenn sie den Menschen dieses Mal vollständig entrissen wird, wird der Kooperatismus zum gesichtslosen Imperium, der Transhumanismus zur neuen Religion und der Mensch zu einer ausdruckslosen Karikatur und Illusion seiner selbst. 

 

Foto: GR Stocks

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